Anne habe ja jetzt ein Auto und ...

Anne habe ja jetzt ein Auto, sagte ich. Musst mich nicht abholen. Und so fuhren wir, Seite an Seite, ins Havelland zum Haus meines Vaters. Annes Auto war groß, die Straße gerade, lang und leer. Wir verließen Berlin, dessen Übergang ins Brandenburgische von sexistischen Postern zwischen Strip und Fitness gesäumt war - überdimensional knallte uns die Großstadt in dieser Schwarz-Weiß-Arroganz entgegen. Dann wurde es karg und leise beim Blick aus dem Fenster. Der Osten. Annes Gefährt blieb riesig - wie die schützende Schale eines großen Käfers. Diesmal hatten wir uns nicht am Ostkreuz verabschiedet oder auf halber Strecke, ihres Elternhauses in Hellersdorf. Diesmal nahm ich nicht die Bahn, um bis in Zone C zu gelangen. Nun fuhr ich unruhig bei, weil ich es nicht gewöhnt war, mit Freundinnen Auto zu fahren. Nur wenige hatten eins und mein Bruder. Selten saß ich auf dem Beifahrersitz.

Mit Ankunft hupten wir kurz vor der Tür, ließen die Türen knallen und stiegen ins hohe Gras. Es fühlte sich erwachsen an, hier so anzukommen. Das Am-Bahnhof-abgeholt-zu-werden und Bescheid-Geben hatte auch etwas kindliches und fürsorglich Intimes. Fehlte es mir, meinen Vater hektisch am Gleis auf und ab rennen zu sehen? Ehe er mich in einem Zugabteil entdeckte, die Hände hochriss, winkend, zeigend, dass er hier war? Er immer so liebevoll, freudig aufgeregt. Vielleicht mochte ich es mehr, mich auf dem Rücksitz zu verkriechen. Ohne Blickkontakt, einfach mehr im Hintergrund. 


Diesmal waren wir zu zweit, hatten Kuchen vom Baumarkt-Bäcker dabei, der einzige der auf dem Weg lag, und waren recht spontan zu Besuch: Das Zeitfenster zwischen Ansage und Ankunft sehr klein.  Ohne Annes Gefährt, nicht möglich. Es fühlte sich seltsam fremd an, so erwartet erwachsen. Und doch unerwünscht. Dazu noch war Anne sichtbar schwanger - nicht ich, aber immerhin fühlte es sich reifer an. Und es war ein wenig wie ein seltenen Besuch auf einer Insel. Wir schnitten den Kuchen in kleine Stücke, saßen auf den knarzenden Stühlen, redeten irgendwas. Lachten. Und immer, wenn mein Vater über mich sprach, lächelte mich Anne an. Sie mochte ihn. Und ich sie. Und ihn. Anne und ich waren nie ein Paar. Vielleicht wollte sie mir nur zeigen, siehst du: er mag dich doch. Ich habe das nie angezweifelt. Und Anne schien gern in so fremde Familienwelten einzutauchen. Diese war anders als ihre, da war ich auch schon willkommener Gartengast. Wahrscheinlich interessierte sie das Familienkonstrukt in dieser Zeit mehr denn je. Wir und der Bauch, sie hatte aufgehört ihn einzuziehen. Das Kind nicht mehr auf der Hüften zu tragen, sondern sicher zu sein, das es bei ihr blieb und sie es halten und tragen könne. Wir aßen den Kuchen behutsam, es gab nicht viel. Immer, sobald ich in diesem Haus war, ergriff mich Langeweile und dann Unruhe. Die Worte rollten über den Tisch und das Gespräch war spröde, nicht rund, stockte oder plätscherte ohne Ziel. Ich wollte wieder los, weg von hier. Denn die Wärme lag woanders. 

Ich ließ die Tür ins Schloss fallen und mit jedem Kilometer wurde ich wieder leichter. Und Anne blieb rund. Von der Seite, nicht von vorn.

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