Worte im Türrahmen und Emotionen in Winkeln

„Meine Mitbewohnerin“ nenne ich sie leicht als sei es ein Geheimnis, dass wir auch in einer engeren Beziehung zueinander stünden. Wir teilen nicht alles, aber einige Stunden Gedanken im Herrenzimmer, Worte im Türrahmen und Emotionen im Winkel, morgens oder nachts, zwischendurch, elektronisch oder auf Zetteln. Und dann sollte es wohl „Mitleberin“ oder „Lieblingswohnerin“ heißen.

Schneeweißchen und Rosenrot träumten einst, an die Heizkörper gelehnt, vom Bär und vom Falken, da flüchtet die eine vorm Brombaer, da empfängt die andere den Falken. Oder sie warten auf Godot, nein sie lesen nur von ihm, rätseln und warten, vorerst darauf, dass die Gedanken im Kopf abebben. Das Drehen bei der einen, das Blockieren bei der anderen. Und dann dreht sich die andere, stockt die eine.

Wladimir und Estragon … sind die Protagonisten im Herrenzimmer, denn die Anwesenheit von Gästen ist überschaubar und doch nehmen sie einiges an Raum ein.

Und immer wieder treffen sie sich zu zweit bei den Ottern, irgendwo in der Mitte, zwischen Flur und Küche oder auf den Holzdielen und verharren in langen Dialogen, die sie einander an den Kopf rollen, damit die andere Perspektive sichtbar wird. Oftmals offenbart sich da ein verzerrtes Spiegelbild. Manchmal arbeitet Emotion gegen Verstand, manchmal wird eine Phase gegen die andere gehalten – und der Reibungspunkt ist die Mitte, in den Gegensätzen einen ausgewogenen Standpunkt zu finden, glaube man manchmal, den Sinn dieser  Begegnung festzumachen. In welcher Wucht die Gegenperspektive einen manchmal trifft, wenn Projektion sich unter Irritation mischt, finden sie doch immer etwas Trost darin, die Denkweisen ihrer Mitmenschen durch die eigene Auseinandersetzung zu verstehen, sie besser zu verstehen und sich selbst.

Als läge die Herausforderung dieser Begegnung darin, genug Kraft zu haben, aus den Erfahrungen und Erleben, dem Wahrnehmen und Denken der anderen zu lernen, daran zu wachsen und nicht im Gegensatz, daran zu verzweifeln, darin zu ertrinken.

Gelernt  habe ich bisher einiges von ihr. Zur Ruhe brachte sie mich, lehrte mich das Liegen im Gras, dass man sie bewusst verlebt, etwas mehr das gedankenlose Leichtsein. Dass man sich Pausen verdient, dass man To-Do-Listen kürzen muss, um sie erst lesen zu können und ich erfuhr wie man die Gespenster auf einer Rampe mit Blick auf die Container bei einem Plastikglas Rotwein verjagt, für eine Nacht zumindest, denn der Morgen kommt gewiss.

Und in den meisten Problemlagen schaut sie mich ernst an wie eine Eule, nur klarer, manchmal allzu wissend, so wissend als wüsste sie schon längst mehr als ich selbst über die Situation, dass es mich gleichzeitig beruhigt wie verunsichert.

Eine gedankenlose Streunerin, eine Mutmacherin, die sich die Leichtigkeit in die Haut tätowiert, das Strahlen darüber deckt und sich ja doch noch darin übt – in diesem Trainingslager der Schwermut und in der Beschäftigung mit Lebensbürokratiekämpfchen. Dem Leben blickt sie mit einer Härte entgegen, dass man verwundert ist, wenn kein Klagen, kein Jaulen, kein Jammern aus einer ihrer Ecken dringt. Sie kann problematische Gedanken und Auseinandersetzungen abschmettern, als könne sie Probleme in einen kleinen, begrenzten Raum auf dem Zeitstrahl zwängen, wo sie stattzufinden haben, wann und in welchem Umfang sie es will. Denn die Kontrolle verliert sie ungern. Und die Zeit ist ein knappes Gut.

Sie lauscht meist, mit diesem aufmerksamen Blick, in den sich immer mehr Mitgefühl mischte, geduldig und ausdauernd. Konzentriert meist, und dann sind sie doch wieder schnell zu tief in irgendeinem Thema. Die Sonderbarkeit als Persönlichkeitseigenschaft und die Abgrenzung zum Mainstream. Die Worte rennen und die Zeit ist unaufhaltsam, wenn sich Gedanken wie Moleküle zu stoßen beginnen. Dabei führt sie immer wieder neue Worte ein, die mir außerhalb des volkskundlichen Kontextes nicht begegnen. Habitus, Kontemplation oder Distinktion. Ich rätsele manchmal unter ihren Worten. Das sei jetzt zu abstrakt, das verstünde man nicht mehr … Sie zieht den Kopf in sich und hält inne, ehe eine Erklärung folgt. Nicht immer ernst, auch oftmals mit einem Schmunzeln auf den Mundwinkeln, einem Strahlen im Blick oder einem lauten, herzlichen Lachschall, der nur unaufgefordert und von tief innen dringt, und zur nächsten Runde läutet – an eine Zeit der Jubeleien erinnert, vielleicht für eine offene, entspannte Begegnung steht, auch wenn sie manchmal leiser wird.

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