Avocadogeburt

Es war einmal, da standen wieder Zeugung, Schwangerschaft und Geburt auf dem Programm, und beim Thema Nachwuchs dachte ich an Helen aus „Feuchtgebiete“ und ihre Avocado-Geburten:
"Ich züchte Avocadobäume. Das ist neben Ficken mein einziges Hobby. ... Am Anfang ist der Kern vom Avocadoöl noch ganz glitschig und schleimig. ... So ein Avocadokern sieht aus wie ein Ei. Er hat ein dickes und ein spitzes Ende. Das dickere Ende muss oben aus dem Wasser rausgucken. Ein Drittel oben an der Luft, zwei Drittel müssen unter Wasser sein. So bleibt der Kern mehrere Monate. Er bildet da im Wasser eine schimmelige Schicht, die auf mich einladend wirkt. Manchmal nehme ich ihn in der Zeit aus seinem Wasserglas und führe ihn mir ein. Ich nenne ihn meinen Biodildo. Natürlich verwende ich als Kernwirt nur Bioavocados. Sonst kriege ich ja nachher noch vergiftete Bäume.

Vor dem Einführen aber unbedingt die Zahnstocher entfernen. Dank meiner trainierten Scheidenmuskulatur kann ich ihn nachher wieder rausschießen lassen. Dann ab zurück ins Wasser gezahnstochert. Und warten.
Nach ein paar Monaten kann man am dickeren Ende einen Ritz erkennen. ...

Näher komme ich an eine Geburt nicht ran. Ich habe mich monatelang um diesen Kern gekümmert. Hatte ihn in mir und hab ihn wieder rausgepresst. Und ich kümmere mich perfekt um alle meine so entstandenen Avocadobäume.

Ich will wirklich, seit ich denken kann, ein Kind haben. Es gibt aber bei uns in der Familie ein immer wiederkehrendes Muster. Meine Urgroßmutter, meine Oma, meine Mama und ich. Alle Erstgeborene. Alle Mädchen. Alle nervenschwach, gestört und unglücklich. Den Kreislauf habe ich durchbrochen.

Dieses Jahr bin ich achtzehn geworden und habe schon lange darauf gespart. Einen Tag nach meinem Geburtstag, sobald ich ohne Erlaubnis der Eltern durfte, habe ich mich sterilisieren lassen. Seitdem klingt der von Mama so oft wiederholte Satz nicht mehr bedrohlich: "Wetten, wenn du dein erstes Kind kriegst, wird es auch ein Mädchen." Ich kann nämlich nur noch Avocadobäume kriegen.“

AUS: Feuchtgebiete (2008) von Charlotte Roche

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