Glück gibt's nicht im Späti

"Jeld macht och nicht glücklich, wa!", so ein Kioskbesitzer am Boxhagener Platz in Friedrichshain zu mir als ich meine letzten Moneten zusammenkratze, mich zurückversetzt fühle. Wie vor vier Jahren, als wir noch alle ohne Job und Perspektive in Berlin rumhingen. Nur 2,80 € in den Hosentaschen, vorm Rosies, reicht noch für Eintritt oder eben ein paar Sterni. Ausreichend für den Abend.

"Natürlich macht Geld nich' glücklich ... Aber das Glück, wissen Sie, wo man das bekommt?", erwiderte ich. Er blickt mir ratlos in mein strahlendes Gesicht.

Ich hatte an diesem Samstagmittag wie zufällig einige Pfade des Glücks abspaziert, den Stoffbeutel über den Arm, mit dem ich spontan Hamburg verlassen hatte, nur mit einer Zahnbürste und zwei Schlüpfern darin, längst mit verrauchten Klamotten aufgefüllt, einer Zeitung und einen dünnen, lilafarbenen Notitzheft. Der Fineliner zieht ausgelaufene Farbkleckse auf den eingerissenen Beutel. Egal. Ich streune frei, allein und mit einem groben Ziel durch die Stadt, die irgendwie etwas wie die Wohlfühlheimat ist. Der Weg offenbart einen Pfad, gesäumt von intensivsten Momenten der jüngeren Vergangenheit, die mich schmunzeln lassen, wieder und wieder. In Friedrichshain tanzte ich wild und engumschlungen mit einem bärtigem, kindischen Kanadier über den Flohmarkt durch die schlendernde Meute. Hier folgte ich wie süchtig einem Radfahrer, durchquerte träumend einen Sturm an Pusteblumensamen und verlor mein Herz irgendwo auf den Pflastern Kreuzbergs. In Mitte berührten mich sanft die Blicke eines Holländers und dann ließen mich seine Hände in der Ausstellung nicht mehr los. Wir stiegen die Hände haltend über die Bierglasscherben, als der Mai noch nicht mal tobte, entrannen den Koksangeboten, tauchten aus den Kellerclubs Neuköllns in gleisendes Licht. "Eigentlich, wenn du ein Mann wärst, müssten wir heiraten". Ein Kuss. Umarmungen auf repeat. Wir taumelten kreischend auf dem Gepäckträger durch die Oranienstraße, mieteten uns für eine Nacht mit Wandergesellen in fremden Wohnungen ein, atmeten den Duft von Blumen in Hotelbars, hatten Männerhände im Nacken und Hände auf den Hüften als uns beinahe die Autos umrasten, hörten Platten von The Smiths und dann die Lassie Singers. Hier fror ich neben dem Kohleofen in den Armen von erfolglosen Musikern und stillte den Hunger mit Marzipancroissants am Hermannplatz. Hier küsste ich den strahlend warmen Mitbewohner einer Freundin inmitten des Sonnenaufgangs auf einer Allee, nur um ihm Mut zu machen. Hier ließ ich einmal kurzentschlossen, die Mitfahrgelegenheit vom Ostbahnhof - ohne mich - aus dem Wochenende fahren, um noch einen Tag zu bleiben, in Arme zurückzukehren, die zum Abflug bereit waren. Hier weinte ich still beim letzten Sex, hier atmete ich laut, erschrocken als wieder unsere Lippen in einem kleinen Aufprall aneinander vorbeischrammten. Hier fiel ich einige Male in tiefe Umarmungen. Das war Berlin, intensiv, und hier lagen nur einige dieser guten Momente. Ich war das erste mal spürbar dankbar mit dem Geschehenen und zuversichtlich mit der Gegenwart lief ich weiter.

Der Späti-Verkäufer wusste nichts zu antworten als mir einen Blick zu schenken, der sagte: "Na, Sie müssen es doch am besten wissen." Und ich wusste, ja, an diesem Tag hatte ich das Gefühl, seltsam glücklich zu sein. Voll und in vollem Bewusstsein darüber, dass es voll war, das Leben. In dieser Mischung aus Freiheit, Fallenlassen, Aufgefangen werden, dem Glauben an etwas und dieser sonderbar, seltenen Zufriedenheit in einem Moment, der eben nicht ein kreischend euphorischer war, fand ich sie für ein paar Stunden, die Erfüllung. „Haben Sie einen Stift?“ In dem Kiosk kaufte ich einen roten Kugelschreiber und beschrieb drei Postkarten damit und einen Brief, um dieses gute Gefühl festzuhalten.

Kommentare

Beliebte Posts