Und die Traurigkeit scheint die Fährte verloren zu haben, erstmal.


Heute war ein guter Tag, ein leichter, und die Traurigkeit scheint die Fährte verloren zu haben, erstmal. Oder sie wird sanfter. Das Winterlicht. Es ist unglaublich hell und weiß. Und bitterkalt in Hamburg. Aber ich kann kaum fassen, die Augen halbgeschlossen, dass die Sonne jeden Morgen wie ein orangener Ball am Horizont liegt. Und wie sie irritiert und müde das Leben bestaunt. Wenn man sich ganz auf diese isländische Kaelte konzentriert, erreicht man einen Moment lang den Zustand, rein gar nichts zu empfinden. Scholleneis auf der Elbe und ich quere sie in jedem Fall einmal morgens und einmal abends, den Kopf fest an der Scheibe in den Träumen verhangen oder über ein Buch gesenkt, dessen Worte auf dem Papier ich nur anschaue.

Wenn die Hamburger Nacht sich ankündigt, ströme ich in sie hinein, schminke die Lippen dunkelrot, sie sollen von den Augen ablenken und sie starren – alle. Glänzend dunkel-dunkel ist der Blick diese Tage. Mitleid ist etwas unerträgliches, das will man nicht. Und ich trinke immer nur ein Glas Wein abends, um nicht versehentlich die Besinnung zu verlieren. Wir empfangen die Nachbarn in unserem Herrenzimmer zu Kuchen und Tee, Endlosgesprächen bei gedrehten Zigaretten und sticken unsere Namen in den Stoff. Schneeweißen und Rosenrot kämpfen mit den Gedanken und können sie doch nicht lassen, bekommen zarte Wangenküsse zum Abschied, zum Trost. Hamburg öffnet sich den Umarmungen allmählich, einer ehrlichen Form der Nähe. Am Wochenende werden wir uns bemühen, nicht in den Scherben zu landen, sondern eng und vergnügt in den Rausch zu tanzen.

Und morgens atme ich auf, wenn ich die Vögel sehe, die abends ihre Scherenschnittformen in den Himmel drückten, und suche die Möwen wie sie im blassweißen Himmel verschwinden. Ich höre sie selten brüllen und heute strahlen ihre gefiederten Bäuche hell vom Licht, in dem sie den Gleitflug üben als sei der Winter Leichtigkeit. Eine Möwe, groß wie ein Albatros, stürzt im Traditionsschiffhafen auf mich nieder, landet auf einem Pfahl im Wasser und schaut mich dumpf an als wolle sie eine Frage stellen. Ich bleibe stehen.

Ich blicke in der blauen Stunde über die dunkle Stadt, die Lichter in den Containerterminals laufen wild durcheinander, die Stadt wie ein kaltes Wintermärchen und mir erfrieren die Finger vor Gedanken, die ich festhalten will. Der Atem setzt aus und ich schlucke Luft wie Wasser. Und der Blick gleitet über die von Kränen gesäumten Elbufer zum dem Knick, den sie macht, bevor sie die Schiffe in die Welt auslaufen lässt.

Die seltsame Erleichterung wurde durch Traurigkeit überschrieben. Die Tränen rannen im hhv-Bus plötzlich ungebremst meine Wangen entlang, unter der Kapuze hervor und ich war sicher sie sind transparent. Gleichgültig, ob sie jemand sehen konnte, die Traurigkeit umarmte mich derb und ich ließ sie, bis sie genug hatte. Nun war es die Distanz, die mich rasend schnell von der mich fragenlos, begleitenden Vorstellung trennt, das enttäuschte Zwicken wegschiebt – und der Trost steht irritiert vor der Tür. Und die Kälte, die so zusetzt.

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