Hans, schäme dich!

Er zwingt zu Geduld und akustischer Ausdauer. Hans Unstern und Band schwindelt nicht, er überzieht, wie einmal lang Luftanhalten ist das meditativ-psychedelische Schalgzeugsolo, das den instrumentalen Einstieg von "Bea criminal" in das Konzert trommelt.
Bei "Ich schäme mich", setzt die Stimme klangvoll ein. Die Riesentuba und der Mann hinter den Saiten der Harfe klagt vom Mut, den er doch auch nicht hat und zieht die Stirn unter haarigen Augenbrauen in Runzeln.
".. den großen Streichelzoo im Nacken, mit oder ohne dickem Fell bleiben Ratschläge Schläge und Gitterstäbe Gitterstäbe .. " Unsterns lebendiges Pseudonym reiht sich als Bandmitglied in die Frontrow, klärt auf, was unverstanden blieb. Sie ist Teil der Band. Kein Schwindel?
Und eine erstaunlich bunte Truppe, eine Band, die keine optische Einheit bilden muss, um dem Anspruch der Ausgefallenheit und Vielfalt zu entsprechen, nichts ist gefällig oder nur schön. Der Unstern hat Zöpfe, zwei und der Dresscode ist nicht abgesprochen. Punk meets Singer Songwriter, Tuba trifft Schlagzeug, Mundharmonika löst Maultrommel ab. Musik, so experimentell wie ungewöhnlich, dass man sie lieber Kunst oder gar Theater nennen mag.


Scheinwerfer auf das Publikum.
Denn so ist es gemeint, als auch das Licht auf das Publikum schwenkt und ihn in den Schatten stellt, wo er gern verborgen bliebe. Der Selbstbetrug wird ironisch in "Hülle" besungen, die Selbstzweifel wie das Versagen und Müssen im hier und jetzt, die Reflektion und die Unbegreiflichkeit, wohl eher eine Fremdverwirklichung als Erholung von sich selbst.
"Ich möchte nur noch Hülle sein, ich spiele niemandem was vor. Der Regen fühlt sich nicht nass an. Sind das die großen Gefühle, wenn's durchsickert. Ich will sie nicht mehr. Gefallen tu' ich mir am besten, wenn ich mich nicht erkenne. Ich möchte taub sein an der Stelle: Fremd sein von mir. Am fremdesten bin ich mir immer noch, wenn ich ganz eindeutig bin, der Fremdverwirklichung so nah wie möglich komm'... Der Regen fühlt sich nicht nass an...Wie erholst du dich von dir?" In "Ich spiele niemanden was vor", trotzt der Text in "Hülle" als hadere Unstern mit dem Vorspieler-Bühnen-Dasein gar - und deswegen vielleicht fehlt nach dem Konzert auch der Merchandise-Stand. Die Musik solle man nicht im Netz herunterladen, sondern besser aus Kaufhäusern klauen.
Selten lauscht und sieht man einen Musiker so authentisch, der Text und Instrument, Kontraste so in Einklang bringt. BeEINdrueckt wie selten etwas, sperrig, laut, melodisch und leise zugleich sein kann. Faszination begleitet jeder Auftakt eines Stücks in der Fluß in ein neues Mikro-Erlebnis dieser Bühneninszenierung. Er tritt nochmal zwischen die vier farbig leuchtenden Riesenluftballons auf die Bühnenkulisse und spielt "Tief unter der Elbe" als Akustik-Version. Ich denke an einen Cellisten nach Mitternacht im Elbtunnel, da verheddert Unstern sich im Text, einem älteren Song, den er vielleicht spontan für Hamburg gewählt hat. Ob Border Terrier oder ihr spätes Lächeln, sein "winselndes Lied" des vergangenen Albums entflieht und er setzt einfach erneut an, zum Refrain: "Tief unter der Elbe" und kichert gelockert auf, schließt ohne ein Zucken.
Das Publikum, eines, das ihn, bis auf wenige Ausnahmen, versteht, lacht empathisch, applaudiert auch hier voller Begeisterung für das Menschlichsein. "Lustiger wird das jetzt nicht", sagt Unstern leise. Beschämt? Doch in genau diesem Moment des scheinbaren Versagens, des Aussetzens der Worte, löst sich der Unstern etwas von seiner Hülle, ragt hinter seiner Kunstmaske mit geflochtenen Zöpfen mit einem natürlichen Lachen hervor und die Mauer der Wortgewalt bricht weg. Einer schreit ironisch, "Schäme dich!" Und da taucht nochmal kurz der wirkliche Hans auf. Die Instrumentalwucht wird dünn und ist er kurz wirklich nah, dessen Musik nahe ging, und dann unter Applaus weg. Welch akustischer Streichelzoo.

mehr_ http://www.hansunstern.net

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