Vom Putz, der Geschichten flüstert


"Nicht wieder einfach nur eine Geschichte."
Die Sättigung war erreicht, die Abenteuer gelebt, die romantischen oder wilden Momente lösten sich in unseren Erzählungen in ihrer Reproduzierbarkeit auf, ein WirrWarr aus Namen und absurden Gleichnissen, in denen diese Männergeschichten, undefiniert, ineinander und in unseren beiden Lebenswegen scheinbar parallel liefen. Selten waren sie wirklich gut, von Bestand, mit Aussicht oder wenigstens reibungslos. Wir gaben ihren Varianten Namen, um sie begreifbarer zu machen, Distanz-Affäre, Kurz-Romanze oder Kuschel-Freundschaft mit oder ohne Plus.

Da klebte der Schmerz in Form von blauen Flecken am Arm wie ein Denkzettel des Erinnerungsverlusts, der Kopf kreiste um die Gedanken, die schon oft gedacht wurden, ein Berliner wird geöffnet, das unentwegte Klacken des Feuerzeugs begleitete die nervösen oder aufgeriebenen Gespräche. Die Pflanzen schauten still vom Regal herab. Kapitel um Kapitel durchdiskutiert und versucht zu schließen, herausgekramt und versucht zu schließen, erinnert und verdammt. Vergessen und herausgekramt, zumindest den Vergleich abschließen. Wenigstens den. 
"Und das Schlimme ist ja mittlerweile, schon die Gewissheit zu haben, dass eine neue Geschichte kommt." 
   
Wie viele Geschichten haben die Wände ihres Zimmers gehört, wie viele Zigaretten wurden auf dem blauen Sofa geraucht, wie viel Ratlosigkeit und Erkenntnis in Kaffee, Wein und Bier ersäuft. Blutergüsse und andere Wunden offen gelegt, auf der blauen Couch. Immer stand die Tür offen wie ein "Gypsie-Hostel", ich brachte die Brötchen zum Frühstück und sie stellte die Matratze für die spontane Nacht. So oft haben mich die Berliner Nächte verworren in die WG gespült. Wir haben die Köpfe zusammengesteckt und einander erklärt, warum das Leben merkwürdig ist, über die Liebe und den Tod gesprochen, die Ideale und das Zermürbende, die Sinnlosigkeit, manchmal Sartre oder Sagan ... Da zog der Weltschmerz wie ein heftiger Windzug ein.

Nun sind die Regale an den Wänden abgebaut und der Putz starrt erlöst. Was da im Raum schwebte, waren noch die gelebten Geschichten, die nun wie Kapitel geschlossen und in Umzugskisten ausgeräumt werden. Das blaue Sofa steht noch da, die Sternis geöffnet und die Jungs spielen heute allein Edith Piafs "La foule" und wir lächeln leise darüber, weil wir es so oft gehört haben. Heute klingt es wie ein leiser Abschiedstanz, doch niemand mochte so recht tanzen.

Und wenn uns Sonntagmittag das Grau weckte, der Regen auf die Fensterscheiben trommelte, begleitete sie ihn am Klavier und ich erwachte sanft in einer Melancholie, die wir sehr gut miteinander teilen konnten. Und ich lauschte ihr immer gerührt.

Sie sang und ich schlief. Leiser als man schlafen kann. Gisbert war auch immer mal dabei. Zuletzt ohne seine Schwester Melancholie sondern mit Frau Himmelblau. Die Liebe strandete. Sie klappt das Buch zu, packt es in einen Kiste und schließt nun erstmal ein großes Kapitel, trägt es raus. Morgen schlägt sie ein neues auf. 

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